Karl Plättner (1893-1945)
Wege und Irrwege eines deutschen Kommunisten
Autor: Dr. Guido Hoyer
„Vergewaltigung durch Mehrheitsbeschluss ist die größte Gefahr für einen Revolutionär“ – das schrieb Karl Plättner 1919 und nach diesem Motto hat er sein Leben lang gelebt. Es gibt wohl niemanden in der deutschen Arbeiterbewegung, der so oft in Widerspruch geriet zu Autoritäten, einschließlich der eigenen Parteizentrale, ja den Widerspruch durch sein Verhalten und seine Schriften geradezu herausforderte.
Allein das Vokabular, mit dem er gegen echte oder vermeintliche Gegner zu Felde zog, zeigt, dass dieser Mann nicht einfach war. Da gibt es „sozialdemokratische Hampelmänner“, „Haufen feiger Kriecher“, „Parteischwätzer“, die „wortreichradikale Partei“, den „Club von Revolutionsschmarotzern“, „Ergraute „Grüne Tisch“-Revolutionäre“, den „Reichsschlachtmeister, den man in der kapitalistischen Welt Reichspräsident Ebert nennt“, „die Hindenburgs, diese vollgefressenen, menschlich, geistig und moralisch entleerten Figuren“, „die weiße, aber dennoch verdreckte Justizbestie.“
Es überrascht daher nicht, dass der Mann, der einmal einer der bekanntesten Persönlichkeiten der Linken in der Weimarer Zeit war, heute weitgehend vergessen ist. Denn zur Heldenverehrung in einem Revolutionsmuseum eignet er sich nicht. Auch ich werde – der Titel „Wege und Irrwege“ verrät es, heute keinen makellosen proletarischen Helden vorstellen; wer das erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Als VVN-BdA erinnern wir an alle Opfer des Naziregimes, wir suchen uns nicht die aus, die uns besonders sympathisch sind.
Eine zweite Vorbemerkung ist nötig: Wenn man über Karl Plättners Leben berichtet, kommt man nicht umhin, historische Ereignisse, die z. B. heute noch in der Arbeiterbewegung umstritten sind, zu streifen. Eine ganze Reihe von Korreferaten könnte ich heute halten, Z. B. über die Märzaktion, die Differenzen zwischen Linksradikalen und Spartakusbund usw. Ich verzichte aus Zeitgründen darauf und bitte, falls tatsächlich Detailfragen diskutiert werden sollen, das dann nach Ende des Referats einzubringen.
Und noch eine letzte Vorbemerkung: Der Mann, der heute vor 65 Jahren in Freising starb, war kein „großer Sohn der Stadt Freising“, es war ein reiner Zufall, dass sein Leben in unserer idyllischen Domstadt endete. Aber in einer Stadt, die eine Gedenktafel für Napoleon hat, der eine Nacht in einem Freisinger Gasthaus nächtigte, wird es trotzdem erlaubt sein, an Karl Plättner zu erinnern.
I. Familie, Kindheit, Jugend
(Soweit nicht anders angegeben folge ich der Biographie von Volker Ullrich: Der ruhelose Rebell – Karl Plätter (1893-1945), Verlag C.H. Beck, München, 2000))
Karl Robert Plättner wurde am 03. Januar 1893 in dem Dorf Opperode im Mansfelder Land geboren. Seine Eltern, der 20jährige Arbeiter David Friedrich Gustav Plättner und die 24jährige Friederike Helmholz waren zum Zeitpunkt der Geburt noch nicht verheiratet, was in der damaligen Zeit in ärmeren Bevölkerungskreisen nicht ungewöhnlich war. Später heirateten die Beiden und hatten noch weitere 6 Kinder.
1905 zog die Familie nach Thale im Harz, einem Ort, wie er widersprüchlicher nicht sein konnte. Einerseits ein Luftkurort, der bevorzugt von wohlhabenden Bürgern aufgesucht wurde, auf der anderen Seite das große Eisenhüttenwerk mit fast 5.000 Arbeitern, wo der Vater Arbeit fand und der junge Karl Plättner seine Lehre als Former absolvierte. Irgendwann in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verdrängten Lärm und Abgase der Fabrik endgültig die letzten Kurgäste.
Über das Verhältnis von Karl Plättner zu seinen Eltern ist wenig bekannt. Er selber bezeichnete später seine Eltern –obwohl sie Arbeiter waren- als „Kleinbürger“ und behauptete auch, seine Abneigung gegenüber der Polizei stamme aus Kinderjahren: „Meine Eltern, denen es an pädagogischen Kenntnissen mangelte, drohten uns Kindern bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit dem „Schutzmann“. So wurde mir der Polizist zum Inbegriff allen Schreckens.“ ((Karl Plättner: Der mitteldeutsche Bandenführer – mein Leben hinter Kerkermauern, Asy-Verlag, Berlin, 1930, S. 98, S. 1))
In politischer Hinsicht stand der Vater dem Sohn nicht nahe, denn als 1917 nach Karl Plättner wegen seines Engagements für den Frieden gefahndet wurde, holte man vom Ortsvorsteher von Thale eine Auskunft über den Vater ein, die ergab, dieser habe sich „in jeder Beziehung einwandfrei geführt“ und stehe „staatsfeindlichen Bestrebungen … fern.“ ((zitiert nach Ullrich, a. a. O., S. 18)) Dennoch war das Verhältnis zwischen Eltern und Sohn gut; David Plättner setzte sich z.B. für die Amnestie des zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilten Karl ein und als während dessen Haftzeit die Mutter schwer erkrankte und schließlich starb, versuchte Karl Plättner vergeblich, Hafturlaub zu bekommen. Erbittert beschrieb er die Auseinandersetzungen in seinem Gefängnisbuch „Der mitteldeutsche Bandenführer“. ((Dort auch der Satz: „Trotzdem liebe ich meine Mutter.“ (a. a. O., S. 98) )) Immer wieder mal, wenn er nicht auf der Flucht oder im Gefängnis war, besuchte Karl Plättner seine Eltern und wenn es –was ich bezweifle- so etwas wie Heimat in Plättners Leben gab, dann war es sicher Thale.
Während der Ausbildung in Thale kam Karl Plättner mit der Arbeiterbewegung in Kontakt und schloss sich an. Er gehörte zum Leserkreis der Zeitung „Arbeiterjugend“, war Mitglied im Arbeiterturnverein „Einigkeit“ und Jugendleiter der sozialdemokratischen Jugend. Mit 15 Jahren -1908- wurde er wegen „öffentlicher Beleidigung“ zu wahlweise 45 Mark Geldstrafe oder 15 Tagen Gefängnis verurteilt, leider ist unbekannt, um was es sich genau handelte.
II. Gegen den Krieg
1912 zog Karl Plättner nach Hamburg und fand Arbeit als Former in der Firma Schwaegermann in Wandsbeck, eine Maschinenfabrik, die auf Bedarf des Schiffbaus spezialisiert war. In seiner Freizeit widmete Plättner viel Engagement dem Jugendbund, wo er eine Abteilung leitete und z.B. Vorträge, Leseabende und Ausflüge organisierte.
Mit 18 Jahren trat er in die SPD ein, sowie in die Gewerkschaft, den Deutschen Metallarbeiterverband (DMV). In beiden Organisationen übernahm er rasch Funktionen: Im DMV war er Vertrauensmann, in der SPD Delegierter der Hamburger Landesorganisation. Hamburg war mit 68.000 SPD-Mitgliedern (bei 1 Mio Einwohnern der Stadt) eine Hochburg der SPD. Diese Stärke war allerdings trügerisch, denn die Mehrheit der Parteimitglieder in Hamburg gehörte zum rechten Parteiflügel, obwohl auf der Linken auch einige prominente Mitglieder der späteren KPD in Hamburg wirkten, so Dr. Heinrich Laufenberg (der 1912 aller Parteiämter enthoben worden war) und Paul Frölich.
Die Ereignisse beim Ausbruch des 1. Weltkriegs sind bekannt. Die SPD, die nicht nur die internationale Solidarität als Grundsatz vertreten hatte, sondern sogar internationale Kongresse, Massendemonstrationen gegen die Kriegsgefahr veranstaltete hatte, gab jeden Widerstand gegen den Krieg auf, stimmte den Kriegskrediten, ohne die der Krieg nicht geführt hätte werden können, zu und beteiligte sich an der nationalistischen Hetze gegen Frankreich und Rußland. Karl Plättner nannte das später einen „ungeheuren Verrat an der Idee des Sozialismus“ und dieser Verrat der Sozialdemokratie veränderte sein Leben.
Entgegen der Hamburger SPD-Mehrheit, traten viele Arbeiterjugendliche in der Hansestadt von Anfang an gegen den Krieg auf. Am 3. August 1914 z. B., dem Vorabend der Zustimmung zu den Kriegskrediten, zogen die Jugendlichen aus Karl Plättners Abteilung demonstrierend durch ein Villenviertel.
Von den folgenden Auseinandersetzungen zwischen der Jugend und der Mehrheitspartei, die ihren rebellischen Jugendverband schließlich selbst auflöste, bekam Karl Plättner wenig mit. Denn er war mit 21 Jahren im „besten Kanonenfutter-Alter“ und wurde bereits im September 1914 an die Front geschickt. Er kämpfte in Frankreich und kam um die Jahreswende 1915/16 als Invalide wieder. Seine Verwundung war zwar relativ leicht, aber folgenreich. Drei Finger der rechten Hand blieben steif, in seinem erlernten Beruf als Former konnte Karl Plättner nicht mehr arbeiten. Er nahm eine Stelle als „Hilfsschreiber“ bei der AOK an.
Die Nachfolgeorganisationen der sozialdemokratischen Jugend waren mittlerweile für illegal erklärt worden. Plättner wurde jetzt, wie ein Polizeibericht vermeldete „die Seele der radikalen Jugendbewegung“, die gegen den Krieg aktiv wurde und dies nicht nur in Hamburg. Seinen Job bei der AOK gab er auf und zog zu seiner Freundin, Bertha Dahm, die mit 23 Jahren bereits verwitwet war und im September 1917 ein Kind zur Welt brachte. Karl bezeichnete Bertha stets als seine Verlobte, heiratete sie aber nicht. Dazu war bei ihrer illegalen Arbeit zunächst wohl auch keine Zeit: Karl hatte die Redaktion einer illegalen Zeitung, der „Proletarier-Jugend“, Bertha übernahm die Verbreitung. Um die Jahreswende 1916/1917 begann Karl Plättner dann, Kontakte zu linken Jugendgruppen in ganz Deutschland zu knüpfen, um eine große Aktion gegen den Krieg zustande zubringen. Und hier wurde er erstmals in eine Auseinandersetzung innerhalb der Linken verwickelt.
Aus den örtlichen meist kleinen sozialdemokratischen Antikriegs-Gruppen, die unter Bedingungen der Illegalität und der Schikanen durch die SPD aktiv wurden, hatten sich nach und nach zwei in verschiedenen Fragen differierende, auch konkurrierende und streitende Organisationen entwickelt. Einmal der Spartakusbund mit Rosa Luxemburg als Theoretikerin und Karl Liebknecht im Reichstag. Dann die „Linksradikalen“, später „Internationale Kommunisten Deutschlands“ (IKD), zu denen z.B. der sächsische Reichstagsabgeordnete Otto Rühle gehörte, auch die Hamburger um Laufenberg, deren Hochburg aber Bremen war, wo -eine absolute Ausnahmeerscheinung – die Mehrheit der SPD-Mitglieder der Linken angehörte und Johann Knief die Zeitung „Arbeiterpolitik“ herausgab. Knief war es auch, der im März 1917 Plättner und seine Hamburger Jugendlichen für die Linksradikalen gewann.
Neben anderen Fragen ((Auf den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal, wo sich erstmals die sozialistischen Antikriegskräfte sammelten, schlossen sich die Delegierten der Linksradikalen im Gegensatz zu denen der Spartakisten an Lenin an.)) war zwischen Spartakus und Linksradikalen strittig, wie sich die revolutionären Kräfte organisieren sollten. Während Luxemburg den Spartakusbund innerhalb der 1917 gegründeten USPD organisierte, aus der Taktik heraus, möglichst viele linke Sozialdemokraten herüberzuziehen, setzten die Linksradikalen frühzeitig auf die Gründung einer neuen, kleinen, aber prinzipienfesten Partei. Sie sahen nicht nur in dem Verrat der SPD-Spitze das Problem, sondern auch im Zentralismus und hierarchischen Aufbau der Partei.
Karl Plättner war fest davon überzeugt, dass sich die linken Jugendgruppen der neu zu gründenden Partei anschließen müssten und versuchte entsprechend, diejenigen, die bei Spartakus organisiert waren, anzuwerben. Dabei hatte er nur teilweise Erfolg.
Im November 1916 war Plättner noch SPD-Mitglied gewesen und auf einer Delegiertenkonferenz aufgetreten: „Die Waffen sind es nicht, die diesen Krieg beenden, auch nicht die herrschenden Klassen, sondern das Volk ist es, das dem Krieg ein Ende bereitet.“
Von dieser Grundüberzeugung ausgehend, warb Plättner für den politischen Massenstreik. Im Juli 1917 verfasste er mit seinem Freund und Genossen Karl Becker ein Flugblatt mit dem Titel „Wie lange noch?“: „Drei Jahre schon tobt der Weltkrieg. In den blutdurchtränkten Schlachtfeldern Europas faulen die Proletarierleiber zu Millionen. Nach Millionen zählen die zu Krüppeln Zerschossenen; nach Tausenden die Bejammernswerten, die die Nacht des Wahnsinns umfangen hält. Und daheim darben Mütter und Frauen, Kinder und Greise. …Wie lange noch? Wie lange noch? Es gibt eine Macht, die dies alles mit wuchtigen Hieben in Trümmer schlagen kann. Sie braucht sich nur zu recken, und die Herren packt schlotternde Angst. Sie kann in wenigen Tagen dem Hunger und den Tränen, dem Morden und Bluten ein Ende machen. Ihr Arbeiter, auf euren Schultern ruht die ganze Macht der großen Herren, eurer Unterdrücker, Peiniger und Mörder. Dreimal vierundzwanzig Stunden nicht mehr den Hahn gespannt, nicht mehr den Schuß gelöst, keine Granate mehr gedreht: und der Krieg ist zu Ende und eure Macht beginnt.“ ((zitiert nach Ullrich, a. a. O., S. 43))
Eineinhalb Jahre später waren es dann ja desertierende Soldaten und streikende Arbeiter, die den Krieg beendeten. Noch aber war es zu früh. Der Versuch, bei den Jugendlichen eine Streikbewegung für den 2. September 1917, dem internationalen Jugendtag, zu entfachen, schlug fehl. Und kurze Zeit später, am 15. September 1917, gelang es der Polizei, Karl Plättner zu verhaften. Gegen ihn wurde die „militärische Sicherheitshaft“ verhängt. Sein Engagement für den Frieden -man nannte es Hochverrat- brachte den 24jährigen ins Gefängnis.
III. Die Revolution 1918/1919
Aus seinem Gefängnis in Dresden wurde Plättner am 08. November 1918 befreit, kurz bevor nach mehr als einjähriger Haft sein Prozess hätte stattfinden sollen. Die Revolution war ausgebrochen, revolutionäre Dresdner Arbeiter und Soldaten zogen zum Gefängnis und befreiten die politischen Gefangenen. In den „Revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat“ Dresdens, im dem zunächst Otto Rühle die führende Rolle hatte, wurde auch Karl Plättner gewählt. Bereits nach wenigen Tagen prallten die Gegensätze im Arbeiterrat hart aufeinander. Auf der einen Seite die Sozialdemokraten, die jeden Eingriff in die bürgerliche Eigentumsordnung ablehnten, auf der anderen die Internationalen Kommunisten, die eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft nach dem Vorbild der russischen Revolution anstrebten Durch ihre Kompromisslosigkeit isolierten sich die IKD. Als am 13. November eine Solidaritätsadresse an die Bolschewiki sowie Karl Plättners Antrag auf „Bewaffnung der proletarischen roten Garde und der in den industriellen Betriebe beschäftigten Proletariermassen“ abgelehnt wurden, traten sie aus dem Arbeiterrat aus, da die Revolution, so Rühle, „ein großangelegtes, von der bürgerlichen Regierung gewolltes und vorbereitetes Täuschungsmanöver“ sei. ((zitiert nach Ullrich, a. a. O., S. 56))
Als zum Jahreswechsel 1918/1919 die KPD als Zusammenschluss von Spartakusbund und IKD gegründet wurde, war Karl Plättner als Delegierter der IKD Dresden dabei.
Vom Parteitag in Berlin aus scheint Plättner nach Bremen aufgebrochen zu sein, wo am 10. Januar 1919 als Antwort auf die Zurückdrängung der Revolutionäre durch die SPD-Regierung in Berlin und die daraus resultierenden Kämpfe (sog. „Spartakusaufstand“) von Sozialdemokraten und Kommunisten die Räterepublik Bremen ausgerufen wurde. Plättner wurde auch hier in den Arbeiter- und Soldatenrat sowie zum Bezirksvorsitzenden der KPD gewählt und eckte sofort an. Auf die Gerüchte der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts hin, schickten „revolutionäre Vertrauensleute“ der KPD unter Führung Plättners ein Telegramm nach Berlin, in dem gedroht wurde, dass „für jeden …standrechtlich erschossenen revolutionären Genossen drei Geiseln der Bourgeoisie und der reaktionären Gewerkschafts- und Parteibürokratie erschossen“ würden. ((zitiert nach Ullrich, a. a. O., S. 63)) Plättner begründete das Telegramm damit, dass es mit dieser Drohung gelänge, Menschenleben zu retten. Der Arbeiterrat lehnte jedoch Plättners Ansinnen mit großer Mehrheit ab.
Die Räterepublik war nicht auf die Idee gekommen, die Banken zu sozialisieren. Die Kreditinstitute sperrten am 16. Januar der Räteregierung den Kredit, worauf diese durch die Ausschreibung von Wahlen zu einer bremischen Nationalversammlung ihre Liquidierung beschloss. Zu der Minderheit, die sich damit nicht abfinden wollte, sondern am 20. Januar loszog, sich Waffen verschaffte und Banken besetzte gehörte natürlich auch Karl Plättner. Diesmal distanzierte sich sogar die KPD-Fraktion im Arbeiterrat, die ihn bezichtigte, der „Revolutionspsychose“ verfallen zu sein.
Obwohl die Räteregierung bereits abgedankt hatte, zog es die sozialdemokratische Reichsregierung vor, militärisch in Bremen einzumarschieren und beauftragte damit den ultrarechten General v. Lüttwitz, der später beim Kapp-Putsch noch traurige Berühmtheit erlangte. Die Kämpfe am 4. Februar 1919 forderten 55 Todesopfer auf beiden Seiten.
Nach Karl Plättner als Beteiligter an der Räterepublik wurde gefahndet. Am 28. Februar verfasste er als KPD-Bezirksvorsitzender ein Rundschreiben an die Parteimitglieder, das lediglich zeigt, wie groß die Meinungsverschiedenheiten in der KPD waren. Denn Plättner sucht die Schuld für das Scheitern der Räterepublik bei der eigenen Partei. Die eigenen Leute in der Regierung seien gescheitert, „weil sie auf der einen Seite mutlos, auf der anderen Seite aber .. Zu dumm waren, auch nur das Elementarste für das Proletariat in Angriff zu nehmen.“
Seine These lautet, dass in der KPD nicht mehr die bereits im Weltkrieg aktiven Genossen, sondern von ihm so genannte „marktschreierische Novemberkommunisten“ den Ton angäben, denen es lediglich „auf a´Bissel Zeitvertreib“ ankäme und die „aus dem politischen Kampf des Proletariats so eine Art von Familienfest“ machen würden. Karl Plättners Fazit: „Unsere Organisation ist teilweise besudelt durch die scheußlichste Korruption, die je eine Bewegung auf der Stirn trug.“ ((Peter Kuckuk: Karl Plättner und sein Rundschreiben vom 28. Februar 1919 an den Bezirk Nordwest der KPD – Ein Beitrag zum Phänomen des Linksradikalismus, in: Bremisches Jahrbuch 63 (1985), S. 109 ff.))
Nach seiner Flucht aus Bremen scheint sich Karl Plättner in Berlin aufgehalten haben und soll dort an den „März-Kämpfen“ beteiligt gewesen sein, deren Auslöser der von der SPD-Regierung angeordnete Einmarsch von Freikorps unter Hauptmann Papst, dem Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, war. Plättner berichtet später, es habe damals das Gerücht gegeben, er sei einer der 1.200 ermordeten Arbeiter gewesen.
Vor allem zwei Fragen wurden bereits auf dem KPD-Gründungsparteitag diskutiert und dann in den ersten Jahren der jungen Partei heftig diskutiert. Die Gewerkschaftsfrage und die Frage der Beteiligung an Wahlen. Bekanntlich hat sich sogar Lenin bemüßigt gefühlt, zu diesen Streitfragen der deutschen Kommunisten Stellung zu nehmen. Karl Plättner hat sich zu beiden Themen ausführlich geäußert: In seiner im August 1919 verfassten Broschüre „Das Fundament und die Organisierung der sozialen Revolution“ werden die strittigen Punkte behandelt.
Die Stellung des einstigen Vertrauensmanns der Metallgewerkschaft zu den Gewerkschaften wird nur verständlich, wenn man sich erinnert, was die Politik der SPD-geführten Gewerkschaften im Krieg gewesen war. Im Rahmen des sog. „Burgfriedens“ hatten die Gewerkschaften für Ruhe und Ordnung in der Arbeiterschaft gesorgt und sogar für die Kriegswirtschaft Arbeitszeitverlängerungen und Lohnkürzungen durchgesetzt. Massive Mitgliederverluste waren die Folge.
Entsprechend drastisch fällt Plättners Urteil aus: „Die Gewerkschaften … sind keine Kampforganisationen, es sind auch keine lediglichen Unterstützungskassen, es sind konterrevolutionäre Körperschaften zu dem Zweck, die Konterrevolution zu organisieren. Wären es tatsächlich nur Unterstützungskassen, könnten wir sie in ihrer Sumpfathmosphäre unberücksichtigt lassen. So aber stehen sie direkt im Dienst der Konterrevolution und müssen als solche behandelt und bekämpft werden. Nicht nur ihre heutige Form, sondern ihr innerstes Wesen ist konterrevolutionär. Sie von innen zu reformieren oder zu erobern durch die gewerkschaftliche Opposition ist Kretinismus…“ ((Karl Plättner: Das Fundament und die Organisierung der sozialen Revolution, Karin Kramer Verlag, Berlin (West), 1973, S. 14)) „Heraus aus den Gewerkschaften“ heißt also Plättners Parole.
Und bei der Gelegenheit der Gewerkschaftskritik macht Plättner gleich weiter mit einer Kritik an den Arbeitern: „…die gesamte Arbeitermasse ist nicht revolutionär, sie ist konterrevolutionär. Und diese konterrevolutionäre denkfaule Masse, der ihre kreaturische Jammergestalt auf der Stirn geschrieben steht, muß durch die Revolutionäre und ihren Sturmwind mit fortgerissen werden. … Ehe man diese stupide und verblödete Masse erzogen hat zum Klassenkampfe, werden noch einige Jahrtausende vergehen.“ ((a. a. O., S. 15))
Ich kann hier der Versuchung nicht widerstehen, Lenin zu zitieren: „Das ist eine so unverzeihliche Dummheit, dass sie dem größten Dienst gleichkommt, den Kommunisten der Bourgeosie erweisen können. … Nicht in den reaktionären Gewerkschaften arbeiten heißt die ungenügend entwickelten oder rückständigen Arbeitermassen dem Einfluß der reaktionären Führer, der Agenten der Bourgeoisie, der Arbeiteraristokraten … überlassen.“ ((Vladimir Iljytsch Lenin: Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, Dietz Verlag, Berlin, 161989, S. 46))
Karl Plättner bezieht sich auf die bei den Linkskommunisten entwickelte Konzeption der „Einheitsorganisation“, die die Trennung von Partei und Gewerkschaft aufheben sollte. Davon ausgehend entwickelt Plättner ein eigenes Konzept des Gesellschaftsaufbaus des sozialistischen Deutschlands nach der Revolution, das von Betriebsorganisationen ausgeht, die von kommunistischen Betriebszellen oder auch von der Partei direkt eingesetzt werden. Diese Betriebsorganisationen seien die Voraussetzung dafür, die Streikfähigkeit der Arbeiter herzustellen, wobei Plättner Streik für ökonomische Ziele als Ablenkung von der Revolution ablehnt und auch behauptet, es bestünde gar keine Chance, durch Streik materielle Verbesserungen durchzusetzen. Mit Leuten, die glauben, den politischen Generalstreik mal eben deklarieren zu können, wie der USPD und ihrem Theoretiker Kautsky rechnet er ab: „Die USPD … wurstelt drauf los und wird an einem bestimmten Tage ihren Kautsky in den Affenkäfig setzen …damit er am 25. August 1919, nachmittags 4 Uhr 43 Minuten 39 Sekunden den Generalstreik ausrufen kann.“ ((Plättner, soziale Revolution, a. a. o., S. 33))
Eindeutig ist auch Plättners Stellungnahme zum Thema Beteiligung an Wahlen: „Man lässt die Parlamentshelden völlig unter sich als Arbeiterverräter und Arbeiterzertreter: dann hat man dem Proletariat einen Dienst erwiesen. …Wir brauchen keine ohnmächtigen Protestler im Parlament, die dort höchstens ihren Hosenboden entzweirutschen … würden.“ ((a. a. O., S. 20))
Auch hier könnte man wieder Lenin anführen: „Solange ihr nicht stark genug seid, das bürgerliche Parlament und alle sonstigen reaktionären Institutionen auseinanderzujagen, seid ihr verpflichtet, gerade innerhalb dieser Institutionen zu arbeiten, weil sich dort auch Arbeiter befinden, die von den Pfaffen und durch das Leben in den ländlichen Provinznestern verdummt worden sind. Sonst lauft ihr Gefahr, einfach zu Schwätzern zu werden.“ ((Lenin, a. a. O., S. 56))
IV. Die „Individuelle Expropriation“
Nachdem die KPD auf dem Heidelberger Parteitag im Oktober 1919 ihre Mitglieder zur Arbeit im Parlament und in den Gewerkschaften verpflichtet hatte kam es zur Parteispaltung, die die Mitgliederzahl der KPD halbierte. Es entstand eine zweite kommunistische Partei, die „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands“ KAPD, die die antiparlamentarische und antigewerkschaftliche Politik fortsetzte, der sich natürlich auch Karl Plättner sofort anschloss und der KPD beträchtliche Schwierigkeiten bereitete: „In Magdeburg hatte Plättner sein Domizil, der die Genossen komplett verrückt gemacht hat.“ ((zitiert nach Ullrich, a. a. O., S. 79))
Im Gegensatz zur KPD war die KAPD der Meinung, dass die Revolution in Deutschland weiterhin auf der Tagesordnung stünde. Und in diesem Punkt näherte sich -nach Meinung der KAPD jedenfalls- die KPD den KAPD-Positionen an, in dem sie unter maßgeblicher Beteiligung des EKKI (Exekutivkommittee der Kommunistischen Internationale), besonders von Karl Radek, die „Offensiv-Theorie“ entwickelte. Diese Theorie beinhaltete die Einschätzung, die KPD sei nun wieder stark genug, um offensiv, d. h. in Richtung Revolution vorzugehen. Vorangegangen war der Zusammenschluss der KPD mit dem linken Flügel der USPD, die die Partei zu einer Organisation mit mehreren hunderttausend Mitgliedern gemacht hatte.
Der März 1921 brachte die Situation, in der die Offensivtheorie zur Anwendung kam. Das mitteldeutsche Industrierevier um Halle und Bitterfeld mit über 100.000 Industriearbeitern im Kohle- und Kupferbergbau und der Chemieindustrie, davon allein 25.000 im Leunawerk, war mit 30% der Wählerstimmen, über 70.000 Mitgliedern, mit kommunistischen Mehrheiten in vielen Betriebsräten und Gemeinden, die Hochburg der KPD. Aus Angst von dem steigenden Einfluss der KPD forderten führende Kapitalisten den Einmarsch der auch mit schweren Waffen ausgerüsteten Schutzpolizei, was die sozialdemokratisch geführte preußische Regierung natürlich gern genehmigte, wohl wissend, dass bewaffnete Kämpfe die Folge sein könnten. Die offensiv gestimmte KPD-Zentrale rief zum Widerstand auf und als die ersten Schiessereien zwischen Polizei und bewaffneten Arbeitern stattgefunden hatten, proklamierte sie den Generalstreik, der allerdings außer in einigen Orten des Ruhrgebiets und in Hamburg kaum beachtet wurde. Die aktionistische KAPD stellte sich sofort auf die Seite der KPD. Die Kämpfe in Mitteldeutschland wurden aber nicht von den Parteizentralen organisiert, sondern es bildeten sich regionale Kampfgruppen, die ohne Kontakt zueinander operierten. Einige Gruppen blieben sogar passiv wie die 12.000 Arbeiter des Leunawerkes, die nichts anderes taten, als ihre Fabrikanlage bewaffnet zu bewachen.
Karl Plättner war einer von mehreren Anführern solcher Arbeiterkampfgruppen und operierte mit etwa 100 Bewaffneten im Raum Bitterfeld-Halle. Die größte Kampfgruppe war aber die von Max Hoelz, auch er ein KAPD-Mitglied. Als Hoelz im Laufe der Kämpfe am Nachmittag des 28. März 1921 in eine Fabrik in Ammendorf eindrang, um die dort gelagerten Geld- und Platinbestände zu beschlagnahmen, wurde ihm bedeutet, es gäbe nichts mehr mitzunehmen, denn er -Max Hoelz- sei ja vormittags schon da gewesen und habe alles mitgenommen. Man zeigte ihm auch die Quittung mit seiner angeblichen Unterschrift. ((Max Hoelz: Vom „Weißen Kreuz“ zur roten Fahne – Jugend-, Kampf- und Zuchthauserlebisse, Mitteldeutscher Verlag, Halle, Lepzig, 1984, S. 245)) Der falsche Hoelz war niemand Anderes als Karl Plättner, der sich kurzerhand die Popularität des prominenteren Genossen zunutze gemacht hatte. Bei seinen späteren politisch motivierten Überfallen, die ihn als „mitteldeutschen Bandenführer“ berühmt machten, trat er dann allerdings schon unter seinem Namen auf.
Der Überfall in Ammendorf hatte für Plättner noch ein Nachspiel. Hoelz ließ ihn regelrecht zu einer Sitzung der Parteizentrale vorführen und zwang ihn, die Beute der KAPD abzuliefern. ((a. a. O., S. 246))
Von Ammendorf zog Plättner weiter nach Leuna, wo er feststellte, dass die Verteidigung des Leunawerkes hoffnungslos sei. Er floh ebenso wie die übergroße Mehrheit der bewaffneten Werksbesetzer, so dass die Polizei, die die Fabrikanlage am 29. März nach einem Artilleriebeschuss -wobei der Direktor des Leunawerks assistierte- stürmte, kaum Widerstand antraf, aber trotzdem unter den sich Ergebenden ein Massaker anrichtete.
Die Märzaktion hatte als in einem völligen Fiasko geendet. Tausende traten aus den kommunistischen Parteien aus und in der KPD begannen Fraktionskämpfe wegen des Offensivkurses. Plättners Beitrag zu dieser Debatte war seine Veröffentlichung „Der organisierte rote Schrecken! Kommunistische Parade-Armeen oder organisierter Bandenkampf im Bürgerkrieg“ vom Oktober 1921. Als Verlag war angegeben: „Hausdruckerei der Ministeriums für öffentliche Unsicherheit (Gustav Noske Nachfolger).“
Noch wütender als bisher bekannt rechnet Plättner hier mit KPD und KAPD, den „von schlotternder Angst gepackten Parteien“ ab: „Die Parteien sind die Sammelplätze für alle Verlogenen, sind die Sammelplätze für die eiteln politischen Schieber, sind die Sammelplätze für langweilige Kleinbürger und intellektuelle Schwärmer…“ „Die USPD sorgt sich um das Einigkeitsfest mit der SPD, windet Guirlanden und fabriziert Lorbeerkränze. Die KPD schmückt ihren roten Lappen mit dem unvermeidlichen Sowjetstern und trägt ihn bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit voran … die KAPD organisiert ihre Märchenerzähler und politischen Großväter…“ ((Karl Plättner: Der organisierte rote Schrecken! Kommunistische Parade-Armeen oder organisierter Bandenkampf im Bürgerkrieg, in: Archiv für die Geschichte des Widerstands und der Arbeit 16 (2003), S. 41, S. 43, S. 58))
Die bisherigen Kampforganisationen, geführt von „mummelgreisen Kommandeuren“ bestanden aus „Paradesoldaten übelster Sorte, die eben zu nichts Revolutionärem zu gebrauchen waren; sofern man Gewehrreinigen als eine revolutionäre Tat ansah, waren sie revolutionär.“ Die unfähigen Anführer tragen die Verantwortung für die Opfer des verlorenen Kampfs: „Es mögen die Kämpfer geopfert werden, aber nur um den Preis eines Erfolges … und nicht um den Ruhm eines Narren willen.“ ((a. a. O., S. 48, S. 68))
Karl Plättner fordert, die linken Parteien beiseite zuschieben und den revolutionären Kampf neu zu organisieren und zwar als „organisierten Bandenkampf“: „Tödlich trifft man die bürgerliche Gesellschaft, indem man sie stündlich beunruhigt, indem man versucht ihr Fundament zu unterminieren, indem man versucht, den Bürgerschreck inmitten des Bürgerkriegs zu organisieren.“ „Und jetzt kommt es darauf an -eine illegale Kampforganisation zu schaffen, die Ungesetzlichkeiten begeht, jetzt kommt es darauf an -ein Werkzeug, ein Instrument dem klassenbewussten Proletariat zu geben, das mit dem Gebrauch der Bombe Bescheid weiß, das sich in den Gefilden der Chemie zurecht findet, das Dynamit als seine tägliche Nahrung gebraucht, das Dynamitbomben auf den Strassen rollen lässt, wie sich beim Sturz des deutschen Kaisertums seine Fahnen in den Gossen herumtrieben.“ ((a. a. O., S. 44, S. 47))
Besonders die Arbeitslosen seien aufgerufen, aktiv zu werden: „Einmal werden aber auch die Erwerbslosen begreifen müssen, dass sie … hungern, weil sie zu feig sind, um sich das zu holen, was sie als Menschen brauchen.“ ((a. a. O., S. 68))
Für die neu zugründende Organisation macht Plättner detaillierte Vorschläge: Ein „Oberster Aktionsrat“ aus sieben Mitgliedern als zentrale Leitung, der Deutschland in zehn „Hauptkampfgebieten“ mit einer Leitung von je fünf Genossen, die wieder in „Kampfgebietsabschnitte“ mit dreiköpfiger Leitung zerfallen. An der Basis stehen dann Ortsgruppen von fünf bis zehn Aktivisten mit zweiköpfiger Führung. Plättner geht also von mindestens mehreren Hundert „organisierten Bandenkämpfern“ aus -offenkundig ein utopischer Plan. Die Drohung mit dem Bombenschmeißen blieb auf dem Papier und statt der Proletariermassen waren es dann etwa 15 Leute, die mit Plättner die „individuelle Expropriation der Expropriateure“, sprich Überfälle auf Betriebskassen und Banken durchführten.
Das sei ein Beitrag, so ein Flugblatt, das die Plättnerbande nach einem Raubüberfall verteilte, „an Anschwellen der unzählbaren kapitalistischen Verbrechen, die Dividendenschluckerei zu verhüten; wir haben den wirklichen Räubern das fortgenommen, was uns die elenden bejammernswerten Schurken seit Jahrhunderten entwendet haben mit allen gesetzlichen Mitteln.“ ((zitiert nach Ullrich, a. a. O, S. 123))
Damit hatte er sich endgültig in der Arbeiterbewegung isoliert. In der KPD-Presse wurde erklärt: „Die „Theorie“ (ist) primitiv, die Praxis gefährlich für das Proletariat, nicht für die Bourgeoisie. Auf diesem Boden wachsen keine Revolutionäre, sondern Abenteurer.“ ((zitiert nach Ullrich, a. a. O, S. 141)) Die KAPD schloss ihr Mitglied Plättner aus, weil sie die Unterordnung der Partei unter die Kampforganisation ablehnte.
Mitbeteiligt an den Überfällen war Gertrud Gajewski aus Leipzig, mit der Karl Plättner seit mindestens Januar 1921 zusammenlebte und die später seine erste Frau wurde. Im März 1922 wurde ihr Sohn Karl geboren.
Bis zu seiner Verhaftung im Januar 1922 gelang es Plättner mit seinen Leuten über 1 Mio Reichsmark zu erbeuten. Bei der Geldverteilung blieb man, was im Prozess sogar der Staatsanwalt anerkannte, politischen Grundsätzen treu. Neben der Unterstützung für arbeitslose Kommunisten wurde die Beute für revolutionäre Propaganda verwendet. Als bei einem Überfall versehentlich die Unterstützungskasse der Betriebsgewerkschaft mit genommen worden war, gab man dieses Geld prompt zurück. Bei keinem einzigen Überfall wurde ein Mensch verletzt, was den Historiker Peter Kuckuk zu der Feststellung veranlasste, Plättner sei „wie aus einem Märchenbuch vergangener Zeiten entnommen: ein „Terrorist“, der nicht tötet.“ ((Peter Kuckuk: Vorwort zu Karl Plättners Broschüre „Der organisierte rote Schrecken!“, in: Archiv für die Geschichte des Widerstands und der Arbeit 16 (2003), S. 25))
Karl Plättners Verhaftung war geprägt durch eine Lynch-Atmosphäre. Bei der Einlieferung ins Gefängnis wurde durch Tritte und Schläge mit Gewehrkolben so misshandelt, dass er fürchtete, er werde, wie schon so viele Linke „auf der Flucht erschossen.“ Polizisten wurden von ihm als „uniformierte Idioten“ oder schlicht als „Polizeischweine“ bezeichnet. Jahre später, 1930 kam er dann allerdings zu einer differenzierteren Einschätzung: „Wir beurteilen die Polizisten unter dem Blickfeld, dass …sie die öffentlichen Organe der bürgerlichen Ordnung sind.“ Die Polizei werde „erst verschwinden mit dem Untergang der bürgerlichen Gesellschaft, die das typisch Polizistische erzeugt …In der bürgerlichen Ordnung, jener Organisation destruktiver Tendenzen, sittlicher Entartung, individueller Teufelei und den Prinzipien der Menschenvernichtung, werden sie ihre Obliegenheiten erfüllen. …später, wenn die soziale Revolution das sodomitische Imperium gestürzt hat, werden sie ausgedient haben … und man wird versuchen müssen, sie in Kontakt zu anderen Wesensarten zu bringen. Es wird ihnen dann schon nichts anderes übrig bleiben, als den Säbel und Revolver beiseite zu legen und sich zu verbinden mit produktiver Arbeit.“ ((Plättner, Bandenführer, a. a. O, S. 2 f.))
Für den Fall, dass man ihn vor Gericht stellen würde, hatte Karl Plättner angekündigt: „Man spuckt dem Gesindel, das den bürgerlichen Klassengerichtshof repräsentiert, ins Gesicht. Sofern man aber nicht an Händen und Füßen gefesselt in Ketten liegt, steigt man auf den Tisch des Staatsanwalts, knöpft seine Hose ab und verrichtet seine menschlichen Bedürfnisse, betrachtet also den Schädel jener Justizbestien als Klosett.“ ((Plättner, Schrecken, a. a. O., S. 68)) Der Prozess lief dann doch gesitteter ab. Nach drei je sechsstündigen Verteidungsreden, in denen Plättner vom „Kommunistischen Manifest“ ausgehend seine Weltanschauung dargelegt hatte wurde er zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine Knast-Erfahrungen hat Plättner später in zwei Büchern verarbeitet, ich komme darauf zurück. Sein Rechtsanwalt, der auch Plättners zahlreiche Eingaben, Petitionen etc,. während der Haftzeit bearbeitete, war das KPD-Mitglied Ernst Hegewisch, der hunderte von politischen Gefangenen betreute. Selbst mit seinem Anwalt, dessen aufopferungsvolle Tätigkeit er durchaus anerkannte, verstand es Karl Plättner, sich anzulegen. 1924 fanden gerade die Prozesse gegen die Beteiligten am „Hamburger Aufstand“ vom Oktober 1923 statt und Hegewisch war überlastet, worauf sich sein Mandant bei der KPD beschwerte: „Ernst Hegewisch ist ein ganz brutaler, böswilliger und zynischer Menschenquäler“, „ein Zweig vom Stammbaum der Bourgeoisie“. Hegewisch antwortete in einem zwanzigseitigen Brief: „Jeder andere revolutionäre Anwalt würde dir nicht bloß deine Briefe, sondern auch deine Prozesse vor die Füße geworfen haben.“ ((zitiert nach Ullrich, a. a. O., S. 170 f.))
V. „Eros im Zuchthaus“
Eine Amnestie für politische Gefangene, die die neu ins Amt gelangte SPD-dominierte Reichsregierung durchführte, gab Karl Plättner am 17. Juli 1928 die Freiheit zurück. Der Dichter Erich Mühsam begrüßte die befreiten Plättner-Anhänger: „Seid willkommen, ihr alle, die …Ihr, den Methoden des Genossen Karl Plättner vertrauend, mit den lebhaften Aktion des individuellen oder des Bandenkampfes dem auf Gott und Noske vertrauenden Bürger den friedlichen Schlummer seines Dividendenglücks raubtet…“ und als Plättner am Leipziger Hauptbahnhof ankam, erwarteten ihn dort mehrere Tausend jubelnde Arbeiter.
Karl Plättner suchte wieder Kontakt zu KPD. Ausdrücklich distanzierte er sich von „seinen damaligen Anschauungen und Methoden“ und erklärte sich bereit, „im Rahmen der Partei, die die kapitalistische Wirtschaft zu stürzen entschlossen ist, diszipliniert unter dem roten Sowjetbanner zu kämpfen.“ ((itiert nach Ullrich, a. a. O., S. 189)) Zum förmlichen Parteieintritt scheint es nicht gekommen zu sein, Plättner trat aber propagandistisch für die „Rote Hilfe“ auf. Eine erste Publikation war 1928 „Gefangen“, ein Sammelband mit Erfahrungsberichten politischer Häftlinge in deutschen Gefängnissen. Dann folgte 1929 das Buch, dessen erste Auflage sofort vergriffen war und Karl Plättner wieder in ganz Deutschland bekannt machte: „Eros im Zuchthaus – Sehnsuchtsschreie gequälter Menschen nach Liebe“. Ein Buch also über die sexuellen Probleme von Strafgefangenen, für das der bekannte Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld ein Vorwort schrieb.
Vorausgeschickt muss werden, dass die heutigen, humanen Formen des Strafvollzugs, wie offener Vollzug und die Besuchszimmer, in denen Gefangene mit ihren Frauen verkehren können, damals unbekannt waren. Das hieß teilweise jahrelange sexuelle Enthaltsamkeit oder Ersatzbefriedigung. Eben diese beschreibt Plätter und zwar -wie sollte es bei ihm anders sein – mit allen drastischen Einzelheiten. Da ist z. B. die Rede von Sex mit Tieren, „pseudohomosexuellen Befriedigungsformen in den Schlafsälen“, „geschlechtlichen Funktionen in den Sammeltransportwagen“, Fetischismus, „Entblößungsdrang“, Onanie und Masturbation.
Ausführlich schildert er auch eigene Erlebnisse, wie das folgende: „Ich versuchte es derart, dass ich einen größeren Glasbehälter mit geknetetem Brotteig ausfüllte, das Ganze austrocknen ließ, dann eine Vagina darin aushöhlte, Decken und Kissen zur Nachbildung des weiblichen Körpers benutzte. Aber auch das ging nicht. Ich stand mit meinem Sexualhunger hilflos vor dieser Konstruktion und es schrie in mir auf: diese tote Form sollst du benutzen zur Regulierung der sexuellen Stofffunktion, zur Entspannung, zur Befriedigung eines der köstlichsten Begehren im menschlichen Leben? Nein, verteufelter Einfall, dreimal nein, halt ein oder ich morde mich, damit du nicht länger dein Frevelspiel mit mir treiben kannst!“ ((Karl Plättner: Eros im Zuchthaus – Sehnsuchtsschreie gequälter Menschen nach Liebe, Mopr-Verlag, Berlin, 1929, S. 123))
Karl Plättner ist für die sexuelle Emanzipation der Frau: “Die Versicherung, “Treue” zu üben, monogam zu leben und sich auf Jahre abzukasteien, ist eine Unehrlichkeit. … Männer roher Gewaltmentalität, Tyrannen und Despoten en miniature, nehmen mit arroganter Selbstverständlichkeit alle Rechte für sich in Anspruch, die sie den Frauen nicht zugestehen. Diese Männer wollen belogen sein, sie müssen belogen werden und sie werden belogen, wenn die Frauen ihnen gegenüber ihre geschlechtlichen Funktionen verschweigen und sogar bewusst abstreiten. … Wären diese Gefangenen hochherzig, dann müssten sie aus den Qualen ihrer eigenen Geschlechtsnot den einzigen Schluß ziehen, dass sie diese Qualen nicht auch ihren Frauen aufbürden dürfen. … Die Ehemänner werden noch ihr blaues Wunder erlegen, wenn das Weib erst beginnt, sich frei zu machen von all den massiven Unterdrückungen und sich nicht länger wie ein willenloses käufliches Objekt behandeln lässt. Allerdings, erst der sozialen und politischen Revolution wird die sexuelle Revolutionierung der Frauen auf dem Fuße folgen. Dann erst wird das Weib zu jener schönen Würde kommen, die heute durch das rohe Besitzrecht des Mannes geschändet ist.” ((a. a. O., S. 181 f.))
Karl Plättner wollte mit seinem Buch aufrütteln und Bahn brechen für eine humane Strafvollzugsreform. Neben anderen Reformen fordert er, den Gefangenen 2 mal jährlich einen Hafturlaub zu gewähren, sowie ein Besuchsrecht, “damit ein normaler und befriedigender Sexualverkehr ausgeübt werden kann.” ((a. a. O., S. 221)) Aber den Kampf um die Strafvollzugsreform stellt er in einen größeren Zusammenhang, wie sein Schlusswort beweist: “Wohlan, ihr Menschen, kämpft mit und erkämpft den Gefangenen das, was zum Menschen gehört: die freie Geschlechtsbetätigung als Wurzel des Lebens selbst! Zerstört nicht nur die Zuchthäuser als Raubtierkäfige in ihrer heutigen Form, sondern helft mit, ein Gesellschaftsleben zu bauen, das keine Zuchthäuser benötigt.” ((a. a. O., S. 223))
Nach “Eros im Zuchthaus” schrieb Plättner 1930 ein weiteres Buch, “der mitteldeutsche Bandenführer”, in dem er seine Konflikte mit Gefängnisdirektoren etc. niederschrieb. Dieses Buch war ein Misserfolg. Erich Mühsam spottete, das Buch sei “die Geschichte der Extrawürste …, die … von Karl Plättner begehrt und für ihn gebraten wurden.” ((zitiert nach Ullrich, a. a. O., S. 195)) Tatsächlich führt Plättner seitenlang aus, wie er z. B. ein Aquarium möchte oder einen Blumenstrauß oder er fordert als Schutz vor “religiöser Belästigung” Türschilder mit der Konfession des Häftlings.
1930 ging seine Ehe mit Gertrud in die Brüche, warum ist nicht bekannt. Mir scheint nicht ausgeschlossen, dass sie wenig begeistert war, dass ihre durch die Haft des Mannes bedingten Eheprobleme ausführlich in “Eros im Zuchthaus” geschildert worden waren. Seine neue Partnerin war seit 1931 Hertha Sebastian, 1934 kam der Sohn Rolf zur Welt. Die Familie schlug sich mühselig durch, legte teilweise von Fürsorgeunterstützung. Dann gelang es Karl Plättner sich mit dem Handel von Brennholz selbständig zu machen und das Geschäft ging zeitweise so gut, dass er drei Arbeiter anstellen konnte.
VI. In der Hölle der Konzentrationslager
Als die Nazis 1933 die Macht übernahmen, schloss sich Karl Plättner, der sich ganz aus der Politik zurückgezogen hatte, nicht dem kommunistischen Widerstand an. Dennoch hatten ihn die Nazis von Anfang an im Visier, denn an seiner nach wie vor kommunistischen Einstellung machte Karl Plättner keinen Hehl.
Nach einer kurzen Verhaftung 1933 wurde er erstmals von April bis November 1937 ins KZ Buchenwald verschleppt. Sein Name befand sich auf einer Liste von Personen, deren “vorbeugende” Verhaftung nach dem Kriegsausbruch vorgesehen war. So kam Plättner im September wieder nach Buchenwald und arbeitete dort beim Baukommando und dann im Sägewerk. Von Buchenwald wurde er im Januar 1944 nach Polen in das KZ Lublin/Majdanek deportiert, wo er für die SS-Firma “Deutsche Ausrüstungswerke” schuften musste. In Majdanek lernte Plättner Walter Reede kennen, ein Kommunist aus Dresden, der ihn als Freund und Kamerad bis zum Tod begleitete. In Majdanek überlebte Plättner nur, weil es von Zeit zu Zeit gelang, illegal eine Extraportion Brot aufzutreiben. Im Juli 1944 wurde das Lager aufgelöst und Karl Plättner gehörte zu dem Häftlingen, die nach Auschwitz gebracht wurden und dort im Baukommando eingesetzt wurden. Im Herbst 1944 war die Naziwehrmacht bereits derart in die Defensive geraten, dass den deutschen politischen Häftlingen in Auschwitz das Angebot gemacht wurde, sich zur Wehrmacht zu melden. Plättner blieb seinen Grundsätzen treu und lehnte ab. “Wir sagten uns”, so Walter Reede rückblickend, “wenn schon eine Entscheidung, dann eine solche, die unserem Wesen entspricht nach all dem Leid. Wenn wir schon zum Tode verurteilt sind, dann bildet die Art des Todes eine Einheit zu unserem Leben.” ((zitiert nach Ullrich, a. a. O., S. 210))
Beim Herannahen der Roten Armee wurde im Januar 1945 auch Auschwitz geräumt. Für die Gefangenen bedeutete das nicht die Freiheit. Plättner wurde ins KZ Mauthausen verschleppt und dann in dessen Nebenlager Melk. Dort errichteten die Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen, die jedem Dritten das Leben kosteten eine große Stollenanlage für die Rüstungsproduktion der Steyr-Daimler-Puch AG. Am 13. April 1945 waren auch hier die Befreier nahe und die Häftlinge wurden auf den Todesmarsch ins Außenlager Ebensee im Salzkammergut getrieben. Auch hier wurden Stollen gebaut, die als Ersatz für die Raketenforschung von Peenemünde geplant war. Karl Plättner war schon nicht mehr arbeitsfähig und überlebte nur, weil ihn Mithäftlinge auf ihrem Block versteckten. Trotzdem machten sich die beiden Freunde bereits am Tag ihrer Befreiung, dem 06. Mai, auf dem Weg in die Heimat. Bis Freising wurden sie auf einem Lastwagen mitgenommen, dann schleppten sie sich zu Fuß weiter, mussten alle hundert Meter eine Pause machen. Sie kamen bis Allershausen, wo Karl Plättner endgültig zusammenbrach. Er wurde in das Lazarett im heutigen Diözesanmuseum auf dem Freisinger Domberg gebracht, konnte sich aber nicht mehr erholen und starb am 04. Juni 1945.
Begraben wurde er auf dem Neustifter Friedhof und von dort 1959 auf den Kriegsgräberfriedhof “Am Nagelberg” in Treuchtlingen überführt. Dort liegt sein Grab Seit an Seit mit den Gräbern von 2.500 Soldaten der deutschen Wehrmacht. Warum er ausgerechnet auf einen Soldatenfriedhof landete, ist heute nicht mehr zu ermitteln.
Man wird wohl sagen können, dass man zur Zeit der Adenauer-Restauration, als alte Nazis wieder in Amt und Würden saßen, in Freising und anderswo nicht allzu viel mit Gräbern von KZ-Opfern anzufangen wusste. So schreibt z. B. das Freisinger Tagblatt 1958 von 28 Naziopfern, die “an unbekannten Orten auf dem Neustifter Friedhof verstreut” begraben seien.
Das Mahnmal des Treuchtlinger Soldatenfriedhofs trägt die Inschrift “Schwört ab der Gewalt und rettet den Menschen im Menschen.”