Tod auf der Flucht vor der SA
Martin Lamprecht aus Weng wurde Opfer der Nazis

Autor: Dr. Guido Hoyer

Was genau im Sommer 1933 in Weng (heute Gemeinde Fahrenzhausen) geschah, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren. Die einzig vorhandenen Quellen sind die Zeitungen, die -ein halbes Jahr nach der Machtübernahme der NSDAP- die nationalsozialistische Sichtweise der „Tragödie von Weng“ wiedergeben.

Deutlich wird aber, dass es sich wohl um einen Familienkonflikt handelte, der durch die Nazis eine politische Dimension bekam.

Der 32-jährige Martin Lamprecht war der älteste Sohn des Bauern „Zum Frei“, somit zum Hoferben prädestiniert gewesen. Den Hof hatte aber sein jüngerer Bruder erhalten. Für das Freisinger Tagblatt war die Sache klar: „Faul und arbeitsscheu … ein notorischer Feind der Arbeit“ sei Martin gewesen. „Aber die allgemeine Arbeitslosigkeit war ja ein so bequemer Vorwand, um die eigene Trägheit zu rechtfertigen. In seiner Gesinnungsart unterschied er sich in keiner Weise von den klassenkämpferischen Unterweltsgestalten unserer Großstädte, dem Proletariat der Straße. … In allen Stücken ein Beispiel dafür, dass auch auf dem Lande Untermenschentum möglich ist.“ ((„Die Tragödie von Weng“, Freisinger Tagblatt, 24.8.1933; aus diesem Artikel auch die folgenden Zitate. Ein weiterer Artikel „Aufsehenerregender Vorfall“, Freisinger Tagblatt, 23.8.1933)) Ob, wie die Formulierung der Zeitung durchblicken lässt, nicht „Arbeitsscheu“, sondern die Massenarbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise für Lamprechts Erwerbslosigkeit verantwortlich gewesen sein könnte oder ob der als Hoferbe aufgewachsene Martin es ablehnte, als Knecht zu dienen, während der jüngere Bruder zum „Frei“-Bauern avancierte, lässt sich heute nicht mehr entscheiden.

Die Nazis griffen jedenfalls mit Brachialgewalt ein. „Im Falle, daß er sich weigern sollte (zu arbeiten) drohte man ihm die Einweisung ins Konzentrationslager an. Dort würde man ihm das Arbeiten schon beibringen.“ Lamprecht entzog sich der Verhaftung durch die Flucht in die Wälder der Umgebung. Dort verbrachte er drei Wochen, offenbar von seiner Mutter heimlich unterstützt.

In der Nacht nach seiner Flucht brannte der Stadel des „Gammel“. Schon im Jahr 1925 war das Anwesen „Zum Gammel“ niedergebrannt; auch damals war Martin Lambrecht verdächtigt worden, ohne dass ein Beweis dafür erbracht werden konnte.

Am 21. August 1933 eskalierte der Konflikt in der Familie Lamprecht: Martin schlug die Frau seines Bruders mit einem Prügel nieder und versuchte anschließend, im Stadel des „Frei“ Feuer zu legen. Dann floh er zurück in den Wald, das „Höhenberger Holz“. Die örtliche SA unter Führung des Sturmführers Rüdiger aus Unterbruck umzingelte ihn: „Wie bei einer Hetz- und Treibjagd das Wild war er umstellt.“ Nur in Richtung des Amperkanals konnte Lamprecht noch fliehen, denn „man hatte nicht gerechnet, dass er da hinein flüchten würde.“ Martin Lamprecht sprang in den Kanal und ertrank.

Aufgrund der glatten Betonwände des Kanals ist es schwierig, aus dem Wasser wieder herauszukommen. Unabhängig davon ging das „Tagblatt“ von Suizid aus. Der Flüchtige habe eine Stange, die ihm hingehalten wurde, nicht genommen, auch keinen Versuch gemacht, zu schwimmen. „Er scheint sich jedenfalls bewußt geworden zu sein, daß er in die große Familie der arbeitssamen, anständigen und geordneten Menschen nicht hineinpasse, daß er selbst sich ausgeschlossen habe von ihrer Gemeinschaft.“

Was die Nazis als „Happy End“ feierten, ist heute nur schwer erträglich zu lesen: „Der Bevölkerung ist durch das Ende eines unberechenbaren Außenseiters der menschlichen Gesellschaft, eines Rebellen gegen menschliche Zucht und Ordnung die Beruhigung wieder gegeben. Das Schicksal selber hat eine Lösung herbeigeführt, die allgemein als gerechte Vergeltung empfunden wird.“ Von der Denunziation als „Untermensch“, der Drohung mit dem KZ, der Hetzjagd durch die SA bis zum Tod auf der Flucht, der als „gerechte Todesstrafe“ dargestellt wird – auch wenn Martin Lamprecht Verbrechen begangen hat, ist klar, dass sich hier die Nazis eines Menschen entledigten, der nicht in ihr Weltbild passte. Er ist -soweit bisher bekannt- das erste Todesopfer des Nazi-Terrors im Landkreis Freising.