Korbinian Krottenthaler aus Neufahrn

Autor: Dr. Guido Hoyer

„Der Angeklagte ist nach den Feststellungen des Gerichts in mässigen Grade angeboren schwachsinnig. Aufgrund dieser minderwertigen Anlage, die durch schlechte Erziehung und verderbliche Umwelteinflüsse noch verstärkt wurde, ist er nicht in der Lage, seine Gemütserregungen ohne Verstoß gegen die Strafgesetze abzureagieren.“ ((Oberstaatsanwalt am Landgericht München II, Revisionsanträge und Begründung, 17. Mai 1939, StAM, Staatsanwaltschaften 14727)) Diese Einschätzung des Oberstaatsanwalts war faktisch das Todesurteil für Korbinian Krottenthaler aus Neufahrn.

Wenn man heute das Schicksal von Korbinian Krottenthaler rekonstruieren will, muss muß man eines vorausschicken: Sämtliche Akten über die Strafprozesse gegen Krottenthaler sind – mit Ausnahme des oben zitierten Revisionsantrags- vernichtet. Zeitungsberichte, in der Diktion der Nazis abgefasst, sind keine objektiven Zeugen. Auf jedem Fall aber steckt im Umgang mit Korbinian Krottenthaler ein gerüttelt Maß Naziideologie. Von den „minderwertigen Anlagen“ war schon die Rede und „Minderwertige“ hatten im 3. Reich keine Gnade zu erwarten.

Mit dem Vorbehalt also, dass die Quellen subjektiv gefärbt sind, subjektiv gefärbt zu ungunsten von Korbinian Krottenthaler, lässt sich in etwa Folgendes festhalten: Korbinian wurde am 9. Juli 1907 in Anglberg geboren und lebte mit seiner Mutter Therese Krottenthaler in Neufahrn. Therese Krottenthaler betrieb eine kleine Landwirtschaft. Ebenfalls in Neufahrn, später in Schwaig lebte Korbinians Tante, Therese Krottenhalers Schwester Maria Großkopf. Zwischen den beiden Schwestern herrschte zeitweilig eine heftige Feindschaft, in die die Familienmitglieder verwickelt wurden. ((FN 11.3.33, FT 8.7.32, 2.6.33, 10.6.33))

Anlässlich eines Gerichtsverfahrens wird über Korbinian berichtet: „In der Schule sei er über die erste Klasse nicht hinausgekommen … In seelischer Beziehung fällt sein gehemmtes Wesen auf. Sein Wissen ist sehr gering. Der Sachverständige bezeichnete ihn als einen schwachsinnigen Menschen.“ ((FT 10.6.33)) Korbinian Krottenthaler war also wohl debil.

1932 war seine Tante Maria Großkopf mit Familie Eicher, der sie ihr Anwesen verkauft hatte, in Streit geraten. Sie hetzte ihren Neffen Korbinian auf, nachts mit einer Schreckschusspistole durch das offene Schlafzimmerfenster von Eicher zu schießen, „daß eahms Grausen kimmt“ und er seinen Besitz wieder verkaufen würde. Der Schreckschuss wurde erst am nächsten Morgen bemerkt.

Das Landgericht München II verurteilte Korbinian Krottenthaler wegen dieser Schreckschussattacke im Dezember 1932 zu neun Monaten Gefängnis. ((FN 11.3.33))

In der Folge prägte die Presse den Begriff von „eine(r) „kriminelle(n)“ Verwandtschaft“. ((Überschrift eines Artikels der FN 11.3.33))

Im Jahr 1932 hatte der Erdinger Bauernbund-Landtagsabgeordnete Lutzenberger -der sich 1933 sofort der NSDAP anschloss- in einer Anfrage den Verdacht geäußert, eine „umstürzlerische Geheimorganisation“ könnte hinter den zahlreichen Brandstiftungen im Landkreis Freising stehen. Immerhin waren allein in Neufahrn 1931 sieben Anwesen angezündet worden. Die Wahrheit war viel prosaischer: In der Zeit der Weltwirtschaftskrise, der Zeit absoluter Verarmung weiter Teile der deutschen Bevölkerung, suchten sich Einige mit Brachialgewalt zu helfen. Sie zündeten ihre brandversicherten Häuser an und kassierten die Versicherungssumme.

So auch Therese Krottenthaler, die ihren Neffen, Johann Stix, anheuerte, den Stadel niederzubrennen. Maria Großkopf, die davon wußte, wurde mitverurteilt. ((FN 11.3.33))

Aus Rache zeigte Maria Großkopf, mit ihrer Schwester verfeindet, Korbinian an: Er habe in den letzten fünf Jahren seine minderjährigen Cousinen sexuell belästigt. Auch hier wurde Krottenthaler zu einer Haftstrafe verurteilt. ((FT 10.6.33))

Aus der Haft zurückgekehrt wurde Korbinian Krottenthaler 1939 erneut straffällig, ohne dass -aufgrund der fehlenden Akten- Näheres bekannt ist. Erneut war das Delikt Brandstiftung.

Schon in einem vorherigen Prozess hatte die Zeitung festgestellt, dass Korbinian „das Verständnis für seine Lage unzweifelhaft fehlte.“ Als ihm das Urteil zur Gefängnisstrafe verkündet wurde, antwortete er: „I möcht jetzt nach Haus.“ Trotzdem wird behauptet: „Er will dümmer erscheinen, als er ist.“ ((FT 10.6.33))

Dass man es hier nach eigenen Angaben mit einem geistig Behinderten oder Debilen zu tun hatte, hinderte die NS-Justiz nicht, ihn zu verurteilen. Jetzt zu vier Jahren Zuchthaus. Gegen das Urteil legte der Oberstaatsanwalt erfolgreich Revision ein, denn es bestünde „kein Zweifel, dass der Angeklagte unter den Begriff „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ fällt.“ Er forderte „Sicherheitsverwahrung“: „Im Hinblick auf seine Schwachsinnigkeit ist nicht zu erwarten, dass die Strafe … eine … abschreckende Wirkung ausüben wird …Wie bereits festgestellt, handelt es sich bei dem Angeklagten um eine minderwertige Persönlichkeit. Da ihm seine zu verbrecherischer Betätigung neigenden charakterlichen Eigenschaften angeboren sind, wird sich auch in Zukunft an seinem inneren Hang zur Verbrechensbegehung nichts ändern.“ ((Oberstaatsanwalt am Landgericht München II, Revisionsanträge und Begründung, 17. Mai 1939, StAM, Staatsanwaltschaften 14727))

Es folgte ein Leidensweg durch verschiedene Haftanstalten. Bezeichnend für den Umgang mit NS-Verbrechen ist eine Aktennotiz der Staatsanwaltschaft München aus dem Jahr 1947, in dem Krottenthalers erster Haftort nach dem Zuchthaus Kaisheim, das KZ Mauthausen, beschönigend „Arbeits- und Erziehungslager“ genannt wird. ((Staatsanwaltschaften am Landgericht München II, Aktennotiz, 17.1.1947, StAM, Staatsanwaltschaften 14727)) Von Mauthausen wurde er zunächst in dessen Außenkommando Gusen (bei Linz) verschleppt, im April 1943 nach Auschwitz. Etwa Anfang März 1945 wurde er nach Neuengamme deportiert. Von hier erhielt Korbinian Krottenthalers Mutter am 19. März 1945 ein letztes Lebenszeichen. ((Landpolizeiposten Neufahrn an Oberstaatsanwalt beim Landgericht München II. 10.6.47, StAM, Staatsanwaltschaften 14727)) Ein Dokument des Internationalen Suchdienst vermerkt dann: „b. d. Evakuierung d. Lagers Neuengamme in der Neustädter Bucht ertrunken.“ ((Untersuchungs-Antrag, 21.1.1952, ITS 90077677#1))

Es gab einen Befehl Heinrich Himmlers, dass kein KZ-Häftling lebend in die Hände der Alliierten fallen solle. In Neuengamme wurden Ende April 1945 etwa 9.000 Häftlinge auf den Todesmarsch getrieben und bei Lübeck auf drei Schiffe, „Thielbeck“, „Cap Arkona“ und „Athen“ verbracht. Am 28. April 1945 hatte die „Cap Arcona“ rund 4.300 Häftlinge an Bord. Sie war total überfüllt und komplett manövrierunfähig. Es gab weder Trinkwasser noch Lebensmittel für die Häftlinge. Die Leichen wurden an Deck gestapelt. Am 3. Mai 1945 wurden die Schiffe, deren Funktion als KZ von außen nicht erkennbar war, von der britischen Luftwaffe bombardiert, gerieten in Brand und kenterten. Rettungsboote für die Häftlinge gab es nicht. Viele der halbverhungerten Häftlinge sprangen in die kalte See, um sich zu retten. Die meisten von ihnen ertranken. Die SS-Leute schossen noch von den sich neigenden Schiffen aus auf die Überlebenden. Wer es an Land schaffte, wurde dort von SS-Wachmannschaften erwartet und ermordet.

Vielleicht liegt Korbinian Krottenthaler in einem der wenigen Gräber rund um die Neustädter Bucht. Die meisten Leichen allerdings konnten nie geborgen werden und bis in die 60er Jahre konnten an den nahen Ostseestränden noch menschliche Knochen gefunden werden.